Gerald Szyszkowitz
ENZERSDORFER DRAMATURGIE vom 1. bis 3. Juli 2015
11. Stück: 'ICH WEISS, ES WIRD EINMAL EIN WUNDER GESCHEHN' ODER
SZENEN UND CHANSONS AUS DEM WIENER WERKL
Über die ´Wiener Werkel´- Komödie des heutigen Abends
1 Die Fakten
Es geht um die ´Ehre der Kollaborateure´. Und um die Frage: Mussten die Leute vom ´Wiener Werkel´ mit den Nazis
zusammenarbeiten, oder hätten sie auch eine andere Chance gehabt? Der Reichsminister Joseph Goebbels schreibt jedenfalls im Jahr 1941 in sein Tagebuch: „Den Direktor des ´Wiener Werkel´, eines Lokalkabaretts, zurechtgestaucht. Das Etablissement gefällt sich in versteckter Kritik und Wiener Raunzerei. Ich machte den Herrn sehr deutlich auf die Gefährlichkeit seines Tuns aufmerksam. Er wird sich nun hüten. Nichts gegen harmlose, politische Ulkerei, die aus dem Herzen kommt, aber irgendwo ist der Spaß zu Ende, und zwar da, wo er an die heiligen Güter unseres nationalen Lebens herantritt.“ Man sieht an diesen Sätzen, dass der Propagandaminister genau gewusst hat, dass die Frage der künstlerischen Freiheit – nicht nur im Krieg - ein heikles Thema ist.
Ich persönlich begann mich mit dieser Geschichte zu beschäftigen, weil Achim Bennings späterer Burgtheaterdramaturg Rupi Weys im Jahr 1956 mein Studienkollege gewesen ist, und da wir oft bei ihm zu Hause gelernt haben, kannte ich auch bald seinen Vater, den Autor Rudolf Weys, der das Kabarett ´Literatur am Naschmarkt´ im Jahr 1933 und das `Wiener Werkel´ im Jahr 1938 gegründet hat. Von beiden Bühnen konnte er viel erzählen, da er bei beiden Bühnen der ´Hausautor´ gewesen ist.
Mit Maria Enzersdorf hat die Geschichte schon deswegen zu tun, weil im Krieg Maria Enzersdorf ja plötzlich zu Wien und also auch zum Einflussbereich des ´Wiener Werkels´ gehört hat. In einem Chanson hat Rudolf Weys dieses spezielle Gefühl, das die Leute damals hier gehabt haben, so beschrieben:
„Vom Kahlenberg bis nach Baden
reicht heute unser ´Groß-Wien´!
Das wird nix bessern und nix schaden,
deswegen steckt da a net mehr drin.“
Sehr begeistert scheinen die Leute damals also von ihrer Stadtvergrößerung nicht gewesen zu sein.
In einem zweiten Chanson heißt es:
„Die Front ´verkürzt´ man mehr und mehr,
wenn i des nur verstengert,
wenn kürzer wirklich besser wär,
warum hat man, ich bitte sehr,
sie überhaupt verlängert?“
Und in einem dritten Chanson hat er damals geschrieben:
„Man ist besorgt, und das mit Grund,
wie wird man überwintern?
Es fehlt bereits der letzte Schund,
nimmt man ein Blatt sich vor den Mund,
dann fehlt es für den Hintern.“
Und auch das Lied, das die Sängerin Cissy Kraner später berühmt gemacht hat, kam im ´Wiener Werkel´ zum
ersten Mal auf die Bühne:
„Ich wünsch mir zum Geburtstag einen Vorderzahn,
den meinen schlug der Ferdinand mir ein ,
ich weiß bis heute nicht, warum er das getan -
aus Liebe kann es nicht gewesen sein ...“
Dieses Lied hat die Schauspielerin Christl Räntz damals zum ersten Mal gesungen, und plötzlich scheint man zu ahnen, dass der ausgeschlagene Vorderzahn keine private Tragödie gewesen ist, sondern dass da ein SA-Mann seine Faust im Spiel gehabt haben wird.
In unserer Aufführung wird es Michaela Ehrenstein singen, wie auch mein Lieblingslied über den ´Frühling in Wien´:
„Wir streiten über Klassen, über Rassen,
wie man die Welt von Tag zu Tag regiert,
das Zeitunglesen können wir nicht lassen,
man liest – und merkt kaum, dass man nichts kapiert …
Aber in den Wäldern am Bach ist der Frühling,
hoch vom Berg durch das Dorf bläst der Wind,
und da ist es doch gar nicht zu fassen,
dass wir nicht auf dem Dorf, an dem Bach, auf dem Berg,
in den Wäldern im Frühling sind!“
Einige Jahre ging damals alles noch ganz gut, aber plötzlich wurde die Situation sehr unangenehm. Auch für das ´Wiener Werkel´. Im Jahr 1941 kam wegen einer Rede zum dritten Jahrestag der ´Angliederung der Ostmark an das Großdeutsche Reich´ der allmächtige Reichsminister Goebbels nach Wien. Seine Frau und sein Assistent waren schon am Vortag seiner Rede in einer Vorstellung im ´Wiener Werkel´ gewesen, und schon da war allen klar gewesen, dass der Verantwortliche der Bühne am nächsten Morgen ins ´Hotel Bristol´ bestellt werden würde.
2 Die Charaktere
KERSTIN RAUNIG als die Schauspielerin Rosl Dorena
Rosl Dorena war in den Dreißigerjahren eine praktisch unbekannte, junge Kleinkunstdarstellerin, bis Gustav Ucicky sie im Jahr 1939 für den Film entdeckte. Er drehte mit ihr und Käthe Dorsch und Paul Hörbiger ´Mutterliebe´, im Jahr 1944 mit ihr, Rudolf Forster und Paul Hubschmid ´Der gebieterische Ruf´. Aber auch nach 1945 blieb Rosl Dorena im Filmgeschäft, drehte 1950 ´Kind der Donau´ und ab 1971 zum Beispiel alle Folgen der TV-Serie `Wenn der Vater mit dem Sohne.´ Aber auch in anspruchsvolleren Produktionen wie ´Gschichten aus dem Wienerwald´ und ´Die Angst des Tormanns beim Elfmeter´ hat sie mitgespielt. Für die Rolle einer meistens gut gelaunten Schauspielerin in unserer Uraufführung ist Kerstin Raunig eine Idealbesetzung. Alle im ´Wiener Werkel´ denken die längste Zeit, diese Person ist zweifellos ein Sonnenkind, aber in dieser Frau lebt auch ein tiefer Schmerz.
Bei den ersten ´Sommerspielen Schloss Huyadi´ konnte Kerstin Raunig ihr schauspielerisches Talent als Christine Weiring unübersehbar zeigen. Und bekam dafür sogar in der Londoner Theaterzeitschrift PLAYS INTERNATIONAL eine wunderbare Kritik.
In diesem Jahr kann Kerstin Raunig als Rosa Dorena zeigen, dass sie auch eine hervorragende Tanzausbildung hat.
JOHANNES TERNE als Rudolf Weys
Rudolf Weys wurde im Jahr 1898 in Graz geboren und starb mit achtzig Jahren 1978 in Wien. Er war im ersten
Weltkrieg Soldat, wurde für seine Tapferkeit ausgezeichnet, wurde Jurist, schrieb aber mehr und mehr Theaterkritiken, fand als blendender Satiriker zum literarisch-politischen Cabaret, gründete 1933 die Kleinkunstbühne ´Literatur am Naschmarkt´, für die er unzählige Beiträge schrieb, und mit der Zeit sogar einen neuen Typus des Kabaretts entwickelte, das ´Mittelstück´. Sein bekanntestes war das kleine Volksstück ´Pratermärchen´.
Aber auch am ´Wiener Werkel´, der einzigen österreichischen Kleinkunst-bühne in der NS-Zeit, die mit Witz, Mut und ironischer Schärfe den Nationalsozialismus kritisierte, war dieser liberale Demokrat der entscheidende Autor. Was für ihn übrigens besonders gefährlich war, weil seine Frau Gerda Waschinsky Jüdin war. Und sein Sohn Rupi, der spätere Burgtheaterdramaturg, war für die NS-Ideologen eben auch ein ´Halbjud´. Sie mussten sich nach dem
Anschluss bis zm Kriegsende im Schatten des Klosters Admont verstecken.
Johannes Terne, der den damals vierzigjährigen Wahlwiener Rudolf Weys bei uns spielt, kommt aus Dresden, war aber zehn Jahre lang ein festes Ensemblemitglied des Burgtheaters, wo er mehr als vierzig Rollen gespielt hat. Unter der Regie von Andrea Breth, Martin Kusej, Dimiter Gottschew und Frank Castorf. Anschließend kamen die
Fernsehjahre. Wir haben ihn in mehreren Tatorten gesehen, in mehreren Polizeiruf-Folgen und als Partner von Manfred Krug in ´Liebling Kreuzberg´. In den letzten Jahren wurde er in Deutschland und Österreich vor allem durch seine überaus sympathische Rolle in der Fernsehserie ´Rote Rosen´ bekannt. Das Schloss Hunyadi kennt er, weil er hier bei mehreren Szenischen Lesungen im Jahr 2014 mitgewirkt hat.
MICHAELA EHRENSTEIN als die Schauspielerin Christl Räntz
Christl Räntz war der Star im ´Wiener Werkel´. Sie war Schauspielerin und Sängerin. Aber vor allem füllte sie alle ihre Rollen nicht nur mit einer großen menschlichen Wärme, es ging von jeder ihrer sorgfältig gearbeiteten Gesten, von der Modulierungsfähigkeit ihrer Stimme und von ihrer mimischen Ausdruckskraft für die Zuschauer des Cabarets ein unwiderstehlicher Zauber aus. Außerdem war sie die Freundin des Direktors Müller-Reitzner, und wurde, als er schon als Einundvierzig-jähriger plötzlich starb, seine Nachfolgerin. Ohne dass sie je Parteimitglied gewesen war. Und ohne, dass sie das jetzt wurde. Sie war plötzlich Direktorin, obwohl der Reichsminister Goebbels eben erst ihr Stück ´Des Odysseus Reise durch Großgriechenland´ persönlich wegen Wehrkraftzersetzung abgesetzt hatte. Aber das Erstaunlichste an dieser Frau ist, dass der Stadtrat Matejka im Juni 1945 – die Kärntnerstrasse präsentierte sich als Hügelandschaft, die Wollzeile war durch Brände verwüstet,
die Burg, die Oper, der Stephansdom lagen in Trümmern - zwar dem Hausautor Rudolf Weys die Spielkonzession übergab, aber Christl Räntz in all ihren anderen Funktionen beließ.
Das ´Wiener Werkel´ werkelte schon Wochen nach der Befreiung unter dem Namen ´Literatur im Moulin Rouge´ wieder weiter. Unter der Führung seines Stars, der alten und neuen Direktorin Christl Räntz.
Auch Michaela Ehrenstein ist ausgebildete Schauspielerin und Sängerin, und wie Christl Räntz Regisseurin und
Direktorin. Und wie die große Christl Räntz hat auch sie angefangen, sich selber die Bühnentexte zu schreiben. Im Jahr 2012 hat sie ihr Stück ´Ich will! Das Leben der Bertha von Suttner´ in der Freien Bühne Wieden mit großem Erfolg uraufgeführt und bei den ´Sommerspielen Schloss Sitzenberg´, zusammen mit dem
Musiker Béla Fischer, sogar eine Musicalversion konzertant vorgestellt.
WILHELM SELEDEC als Leo Schödl, Schriftleiter des ´Völkischen Beobachters´
Wilhelm Seledec ist Wiener, spielte viele Rollen im Theater der Jugend und in der ´Freien Bühne Wieden´. In
meinem Stück DIREKTOR MAHLER hat er zum Beispiel den Theaterhofrat Kneucker gespielt, und in meinem Stück KREISKY den Androsch-Vertrauten Beppo Mauhart. Beide Figuren mit sorgsam gewählten Wienerischen Hinterfotzigkeiten. Er spielte aber auch am Volkstheater, in der Josefstadt und am Burgtheater, und, was nicht selbstverständlich ist für einen Schauspieler, er schreibt auch. Seit 1976 ist er Kulturredakteur mit dem Spezialgebiet Theater. Er weiß also sehr genau wer dieser historische Leo Schödl gewesen ist. Der im Jahr 1923 beim Marsch auf die Feldherrnhalle dabei gewesen ist und dafür den Blutorden bekommen hat. Im Jahr 1938 beginnt er beim ´Völkischen Beobachter´, für den er dann in den nächsten Jahren 634 namentlich gezeichnete Artikel geschrieben hat. Unter anderem auch den in unserem Stück erwähnten Leitartikel über dieses verdächtige,
gefährliche Etablissement, das ´Wiener Werkel´.
MARTIN GESSLBAUER als Reichsminister Goebbels
Joseph Goebbels hat, obwohl alt genug, im Ersten Weltkrieg nicht mitkämpfen dürfen. Er hat sich 1914 einen Tag lang weinend in sein Zimmer eingeschlossen, als der Militärartzt ihn wegen seines Klumpfußes abgelehnt hat. Ein tragischer Anfang. Wenn man vom Militär ebenso ignoriert wird wie von den Mädeln auf dem Tanzboden.Wohin der Schüler Goebbels mit seinen Klassenkameraden oft gegangen ist. Das erklärt viel. Der Heranwachsende sucht immer intensiver Gründe für seine Niederlagen. Auch seine Texte werden ja jahrelang von allen Zeitungen abgelehnt. Almählich setzt er also in seinen Tagebüchern kurzentschlossen das Wort ´Jude´ als Synonym ein für
Kapitalist, Republik, Parlamentarismus und Journaille. Grundsätzlich werden Schriftsteller und Politiker von nun an als Juden bezeichnet,wenn sie ihn ablehnen oder sein Mißfallen dadurch erregen, dass sie eine andere politische
Meinung haben als er.
Dieser Goebbels trifft nun im Jahr 1941 als mittlerweile allmächtiger Reichsminister in Wien auf eine Cabaret-Bühne, die den Nationalsozialismus ironisiert und offensichtlich ´jüdisch unterwandert´ ist. Jura Soyfer war Jude und war hier Hausautor, die Frau des Hausautors Rudolf Weys ist Jüdin und einige der anderen, heimlichen
Autoren wie Fritz Eckhardt sind ´zumindest Halbjuden´, kurz, der Konflikt ist da.
Martin Gesslbauer verbindet rein gar nichts mit Goebbels.. Er wurde nicht in der Kleinstadt Rheyth am Niederrhein geboren, sondern in der Großstadt Wien, er spricht also nicht Rheinisch, sondern Wienerisch, er wurde als junger Mann nicht Journalist, sondern sofort Schauspieler, er hat keinen angeborenen Klumpfuß und, vor allem, er war nie Antisemit.
Martin Gesslbauer muss sich alles Goebbelssche erspielen. Aber da er ein leidenschaftlicher Spieler ist, imitiert er die Bewegungen des Reichsministers genau so sorgsam wie diesen ganz speziellen rheinischen Singsang.
Als Regisseur inszeniert er nicht nur leidenschaftlich gern Komödien, sondern auch die unterhaltsamen,
volksnahen Operetten wie den ´Vogelhändler´, die ´Czárdásfürstin´ und die ´Fledermaus´, ja, Martin Gesslbauer ist so sehr Theatermensch, dass er bei seinen Inszenierungen auch die Bühnenbilder selbst entwirft und persönlich
zusammenbaut.
DER MUSIKER BELA FISCHER
Béla Fischer ist Ungar aus der Slowakei. Er studierte Komposition und Violine und begann, als er nach Wien kam, als Ballettkorrepetitor an der Wiener Staatsoper und der Volksoper, arbeitet jetzt aber hauptsächlich als Dirigent und Komponist.
3 Wie steht es in der Gegenwart um die Freiheit der Kunst?
Ja, damals, sagt man schnell, damals hat die Kunst es schwer gehabt, aber heute ist das doch alles ganz anders.
Das ist schon richtig, aber man braucht nur ein paar Kilometer weiter nach Osten zu schauen, nach Ungarn, da klingt die ganze Geschichte schon wieder ganz anders. Vor ein paar Monaten gab Robert Alföldi zum Beispiel, der bis zum Sommer 2013 Intendant des Nationaltheaters Budapest gewesen ist, dem ´Standard´ ein Interview:
„Nein, meine Arbeit wurde nicht behindert, außer dass die Regierung unser Budget um 50 % gekürzt hat. Ja, alle Menschen., die eine Meinung vertreten, die von der Meinung der Regierung abweicht, werden sofort als Linke abgestempelt, als Verräter oder als Unchristliche. Eine Wochenzeitung gab vor kurzem eine Liste mit Theatervorstellungen heraus, die man nicht besuchen soll, weil diese Theater nicht im Sinne der Regierung agieren. Die Vorstellungen sind jetzt alle ausverkauft. Denn die Menschen wollen ein Theater, das sie nicht anlügt. Das Theater hat die Aufgabe, nicht zu lügen und nichts zu verschweigen. Es soll ungelöste Fragen aufwerfen, um in unserer Gesellschaft, die oft Sonnenbrillen vor den Augen hat, einen Diskurs anzuregen. Ich bin davon überzeugt, dass die mangelnde Vergangenheitsbewältigung einer der Hauptgründe dafür ist, wie unsere Gegenwart heute aussieht.
4 Über die Entstehung dieses Stückes.
An mein Stück vom ´Wiener Werkel´ dachte ich zum ersten Mal, während ich in den Anmerkungen zum Stück
´Antigone´ von Jean Anouilh las, dass er dieses Stück im Februar 1944 im Theater l´Atelier in Paris uraufgeführt hat. Also in dieser gefährlichen Zeit, in der Admiral Canaris der nationalsozialistische Geheimdienstchef in Paris
gewesen ist. Ich las, der Direktor des Theaters musste vor der Premiere ins Hotel Lutetia kommen, wo Canaris residierte, um zu erklären, warum er plane, gerade dieses ´Stück des erkennbaren Widerstandes´ aufzuführen.
Erst nach einer ausführlichen Diskussion durften Barsacq und Anouilh ihr Stück ´Antigone´ zur Uraufführung
bringen. Historisch heißt das aber: Sie haben im Jahr 1944 mit den Deutschen zusammengearbeitet. Sie waren Kollaborateure der Vichy-Regierung und damit Kollaborateure der Nationalsozialisten.
Warum war Anouilh auf die Idee dieses Widerstandsstückes gekommen? Weil im August 1942 der junge Paul Colette anlässlich eines Treffens der mit Nazideutschland kooperierenden ´Legion des volontaires francais´ in Versailles ein Attentat auf den Außenminister Pierre Laval verübte, der Minister dabei aber nur leicht verletzt
wurde. Für Anouilh war das eine sinnlose, wenn auch anständige, also notwendige Tat. Wie die der Antigone. Und unter diesem Eindruck der ´absehbaren Vergeblichkeit´ hat er dann seine ´Antigone´ geschrieben. Kreon bleibt in
Theben genaus so an der Macht wie auch der Minister Pierre Laval damals in Paris an der Macht geblieben ist.
Die Auseinandersetzung von Anouilhs Direktor André Barsacq mit dem deutschen Geheimdienstchef Admiral
Canaris war zweifellos das Vorbild für Anouilhs Dialoge zwischen der ´widerstandsträchtigen Antigone´ und Kreon, dem Vertreter der staatlichen Ordnung. Und da mich diese Dialoge sofort sehr interessierten, habe ich diese
Geschichte dramaturgisch weitergedreht, und ein neues Stück geschrieben: ´Anouilh und Canaris´. Mit ähnlichen Dialogen, wie sie Antigone mit Kreon führt. Aber mein Stück spielt nun nicht mehr in der Stadt Theben und in der Antike, sondern in Paris im Jahr 1944, im Theater l´Atelier und im Hotel Lutetia. Und es geht nun nicht mehr um das Begräbnis von Antigones Bruder Polyneikes, sondern um die ´Ehre der Kollaborateure´ Anouilh und Barsacq, die beide nach dem Krieg gehörige Schwierigkeiten wegen ihrer Art der, wie ihre Ankläger dann sagten, ´schamlosen Kollaboration mit dem Feind´ bekommen haben.
Als ich das Stück fertig hatte, kam mir der Gedanke, daraus ein Stück über unsere eigene Vergangenheit zu machen. Über die ´Ehre unserer Kollaborateure´? Denen man nach dem Krieg ja auch vorgeworfen hat, sie hätten mit den Nazis ´Verabredungen getroffen´? Nun mußte man in der Nazizeit, wenn man etwas aufführen wollte, zweifellos zuerst mit der ´nationalsozialistischen Zensurabteilung´ reden. Die verantwortlihen Herrn des
´Wiener Werkel´ haben das auch getan, aber man hat gerade im ´Wiener Werkel´ dann weißgott nicht nur neudeutsche Propagandastücke gespielt. Jede Vorstellung war immer wieder ein ´Tanz auf dem Vulkan´, weil man nie wissen konnte, wie das Publikum auf die verschiedenen Anspielungen reagieren wird. Und wie in Paris André
Barsacq, der Direktor des Autors Anouilh, von dem verantwortlichen Nazi Admiral Canaris ins Hotel Lutetia ´gebeten´ worden ist, so wurde in Wien der Direktor des Hausautors Rudolf Weys vom verantwortlichen Nazi Goebbels ins Hotel Bristol zitiert. Und der Text im Tagebuch des Propagandaministers hieß dann an diesem Tag:
„Den Direktor des ´Wiener Werkel´, eines Lokalkabaretts, zurecht gestaucht. Das Etablissement gefällt sich in versteckter Kritik und Wiener Raunzerei. Ich machte den Herrn sehr deutlich auf die Gefährlichkeit seines Tuns aufmerksam. Er wird sich nun hüten. Nichts gegen harmlose, politische Ulkerei, die aus dem Herzen kommt, aber
irgendwo ist der Spaß zu Ende, und zwar da, wo er an die heiligen Güter unseres nationalen Lebens herantritt.“
Große Worte. In einer gefährlichen Zeit.