Gerald Szyszkowitz
ENZERSDORFER DRAMATURGIE vom 7. April 2014
3. Stück: IN DEN WÄLDERN AM BACH BLÜHT DER FRÜHLING ODER
DIE EHRE DER KOLLABORATEURE IM WIENER WERKEL
Über die Entstehung des heutigen Stückes
Lessing veröffentlichte in seiner ´Hamburger Dramaturgie´ zu jedem Theaterabend etwas über die Entstehung des Stückes, das
aufgeführt werden sollte. Also beginnen auch wir damit.
An mein Stück vom ´Wiener Werkel´ dachte ich zum ersten Mal, während ich in den Anmerkungen zum Stück ´Antigone´ von Jean Anouilh
las, dass er dieses Stück im Februar 1944 im Theater l´Atelier in Paris uraufgeführt hat. Also in dieser gefährlichen Zeit, in der Admiral Canaris der nationalsozialistische Geheimdienstchef in
Paris gewesen ist. Der Direktor des Theaters musste vor der Premiere ins Hotel Lutece kommen, wo Canaris residierte, um zu erklären, warum er plane, dieses ´Stück des Widerstandes´
aufzuführen.
Erst nach einer ausführlichen Diskussion durften Barsacq und Anouilh ihr Stück ´Antigone´ zur Uraufführung bringen. Historisch
heißt das aber: Sie haben im Jahr 1944 mit den Deutschen zusammengearbeitet. Sie waren Kollaborateure der Vichy-Regierung, und damit Kollaborateure der Nationalsozialisten.
Vielleicht war diese Kollaboration der Grund, warum diese ´Antigone´ nach dem Krieg in Deutschland ein so großer Theatererfolg
geworden ist, vielleicht aber war sie auch deswegen so erfolgreich, weil diese ´Antigone´ weder Kommunistin ist wie die Heldinnen des Bert Brecht, noch Christin wie die Heldinnen von Paul
Claudel, noch hat sie sonst irgendeine politische Botschaft verkündet, sie hat nur ihre Überzeugung nicht verhehlt, dass sie hier in Theben gegen die Begräbnis-Vorschriften des Königs Kreon
ist.
Im August 1942 hatte der junge Paul Collette anlässlich eines Treffens der mit Nazideutschland kooperierenden ´Legion des
volontaires francais´ in Versailles ein Attentat auf den Außenminister Pierre Laval verübt, der dabei aber nur leicht verletzt worden ist. Für Anouilh war das eine sinnlose, wenn auch notwendige
Tat.
Unter diesem Eindruck der absehbaren Vergeblichkeit schrieb Anouilh sein Stück ´Antigone´.
Auch bei ihr handelt es sich ja um eine für die junge Frau notwendige, objektiv aber sinnlose Tat. Kreon regiert
selbstverständlich auch danach weiter. Wie auch Laval.
Die Auseinandersetzung von Anouilhs Direktor André Barsacq mit dem deutschen Geheimdienstchef Admiral Canaris war zweifellos das
Vorbild für Anouilhs Dialoge zwischen der aufmüpfigen Antigone und Kreon, dem Vertreter der staatlichen Ordnung. Da mich diese Dialoge interessierten, habe ich diese Geschichte dramaturgisch
weitergedreht und ein neues Stück daraus gemacht: ´Anouilh und Canaris´.
Mit ähnlichen Dialogen wie sie Antigone mit Kreon führt. Aber meine Handlung spielt nicht mehr in der Antike in der Stadt
Theben, sondern im Jahr 1944 in Paris, im Theater l´Atelier und im Hotel Lutece in Paris, und es geht nicht um das Begräbnis des Polyneikes, sondern um die ´Ehre der Kollaborateure´ Anouilh und
Barsacq, die beide nach dem Krieg gehörige Schwierigkeiten wegen dieser Art von Kollaboration bekommen haben.
Als ich das Stück fertig hatte, dachte ich sofort, warum mach ich daraus nicht ein Stück über unsere eigene Vergangenheit? Über
die ´Ehre unserer Kollaborateure´. Auch in Wien wurden ja in der Nazizeit nicht nur neudeutsche Propagandastücke gespielt, sondern auch Doppelbödiges.
Der Vater meines Studienfreundes Rupi Weys, der Autor Rudolf Weys, war zum Beispiel im Krieg der Hausautor des ´Wiener Werkels´
gewesen. Er hat trotz seiner jüdischen Frau und seiner subversiven Texte die Nazizeit überlebt, und nach dem Krieg dann zwei wunderbare Bücher über seine Cabaret- Erinnerungen geschrieben. Auch
sein Theaterdirektor Adolf Müller-Reitzner ist ja - wie Barsacq von Canaris - vom Reichsminister Goebbels in ein Hotel zitiert worden, wo der ihm nicht nur einzelne Nummern des laufenden
Programms verboten hat, sondern gleich die ganze Aufführung im ´Wiener Werkel´.
Die Argumente des Reichsministers waren wohl ähnlich wie die des Königs von Theben und des Admirals Canaris in der
Auseinandersetzung mit dem Theaterdirektor Barsacq.
Alle drei Stücke sind Parabeln der Macht und des Widerstands. König Kreon vertritt dieselbe Position der allgemeinen Ordnung wie
Admiral Canaris und wie in unserem Stück der Reichsminister Goebbels, und der Theaterdirektor Barsacq in Paris und der Theaterdirektor Müller-Reitzner in diesem Stück in Wien vertreten eine
ähnliche Position wie die aufmüpfige Antigone bei Anouilh in Theben.
Über den Wiener Hintergrund
Nach unserem historischen Anfang mit dem „Oberzeremonienmeister Hunyadi oder Diese unangenehme Geschichte mit der Vetsera“ im
neunzehnten Jahrhundert und unserer Vorstellung der beiden Schnitzler- Einakter von der Jahrhundertwende kommen wir mit unserer ´Dritten szenischen Lesung´ der Gegenwart näher.
Mein Studienkollege im Jahr 1956 war Achim Bennings späterer Burgtheaterdramaturg Rupi Weys, und da wir sehr oft bei ihm zu Hause
´gebüffelt´ haben, lernte ich bald auch seinen Vater kennen, den Autor Rudolf Weys, der das Kabarett ´Literatur am Nachmarkt´, im Jahr 1933 und das ´Wiener Werkel´ im Jahr 1933 gegründet hat. Von
beiden Bühnen konnte er viel erzählen, da er bei beiden Bühnen Hausautor gewesen ist.
Im Krieg gehörte zum Beispiel Maria Enzersdorf plötzlich zu Wien, und in einem seiner Chansons hat er das Gefühl beschrieben, das
die Leute damals gehabt haben:
„Vom Kahlenberg bis fast nach Baden reicht heute unser ´Groß-Wien´!
Das wird nix bessern und nix schaden,
deswegen steckt da no lang - net mehr drin."
Sehr begeistert scheinen die Leute von dieser Stadtvergrößerung also nicht gewesen zu sein.
In einem zweiten Chanson heißt es:
„Die Front ´verkürzt´ man mehr und mehr,
wenn i des nur verstengert,
wenn kürzer wirklich besser wär,
warum hat man, ich bitte sehr,
sie überhaupt verlängert?"
Und in einem dritten Chanson hat er geschrieben:
„Man ist besorgt, und das mit Grund,
wie wird man überwintern?
Es fehlt bereits der letzte Schund,
nimmt man ein Blatt sich vor den Mund,
dann fehlt es für den Hintern."
Auch das Lied, das später die Cissy Kraner berühmt gemacht hat,
kam im ´Wiener Werkel´ zum ersten Mal auf die Bühne:
„Ich wünsch mir zum Geburtstag einen Vorderzahn,
den meinen schlug der Ferdinand mir ein,
ich weiß bis heute nicht, warum er das getan –
aus Liebe kann es nicht gewesen sein ..."
Dieses Lied hat die Christl Räntz damals zum ersten Mal gesungen.
Und plötzlich scheint man zu ahnen, dass der ausgeschlagene Vorderzahn keine private Tragödie gewesen ist, sondern dass da ein
SS-Mann seine Faust im Spiel gehabt hat.
In unserer Aufführung wird es Michaela Ehrenstein singen. Und mein Lieblingslied über den Frühling auch:
“Wir streiten über Klassen, über Rassen,
wie man die Welt von Tag zu Tag regiert
das Zeitunglesen können wir nicht lassen,
man liest – und merkt kaum, dass man nichts kapiert ..."
Aber
"In den Wäldern am Bach ist der Frühling,
hoch vom Berg durch das Dorf bläst der Wind,
und da ist es doch gar nicht zu fassen,
dass wir nicht auf dem Dorf, an dem Bach, auf dem Berg,
in den Wäldern im Frühling sind!"
Unangenehm wurde es für das ´Wiener Werkel´, wie schon erwähnt, im Jahr 1941, als wegen einer Rede zum dritten Jahrestag der
´Angliederung der Ostmark an das Großdeutsche Reich´ Reichsminister Goebbels nach Wien kam. Sein Assistent und seine Frau waren am Vorabend seiner Rede in einer Vorstellung im ´Wiener
Werkel´ gewesen. Schon da war allen klar, dass der Verantwortliche der Bühne am nächsten Morgen ins ´Hotel Bristol´ bestellt werden würde.
Da dieses Gespräch ein für Müller-Reitzner unvergessliches Gespräch gewesen ist, werden wir dieses ´Wiener Streitgespräch über die
Freiheit der Kunst´ auf die Bühne bringen. Martin Gesslbauer hat sich mit der Gestik und dem Tonfall des Ministers sehr genau beschäftigt.
Die Besetzung
Michael Bukowsky als Adolf Müller-Reitzner, Direktor der Cabaret-Bühne ´Wiener Werkel´
Müller-Reitzner eröffnete am 20. Januar 1939 das ´Wiener Werkel´, das seltsamste Cabaret ´Großdeutschlands´. Alle Autoren, die
zwischen 1938 und 1944 für das vom Reichspropagandaamt angeordnete Unternehmen - siehe Kraft durch Freude - geschrieben haben, waren, ohne dass das Reichspropagandaamt das erst einmal gemerkt
hat, eindeutig Gegner des Dritten Reiches, einzig das Parteiabzeichen Müller-Reitzners schirmte die Texte ab, ja, es gelang diesem ungewöhnlich mutigen Theaterdirektor sogar, nichtarische
Mitarbeiter so zu tarnen, dass sie mitarbeiten konnten. Zum Beispiel arbeitete auch der damals ´untragbare´ Fritz Eckhardt als Autor. Spielen durfte Eckhardt nicht, aber immerhin schreiben. Unter
falschem Namen. Dank seines mutigen Direktors. Spielen durften damals im ´Wiener Werkel´ zum Beispiel Christl Räntz, Hugo Gottschlich, Josef Meinrad und Oskar Wegrostek.
Michael Bukowsky, der für uns den Theaterdirektor Müller-Reitzner darstellt, spielte selbst noch in unzähligen ´Tatorten´ den
Assistenten des Oberkommissars Fritz Eckhardt und viele Fernsehfilme mit Kollegen wie Josef Meinrad und Oskar Wegrostek. Vor allem aber hat er im Lauf seines Berufslebens ein enormes Fachwissen
für die Darstellung eines Theaterdirektors angehäuft, denn er war Jahrzehnte lang der Besetzungschef des ORF. Wir haben im Laufe meiner 25-jährigen ORF-Tätigkeit als Fensehspielchef bei
unzähligen Filmen zusammengearbeitet.
Johannes Terne als Rudolf Weys
Rudolf Weys wurde im Jahr 1898 in Graz geboren und starb mit achtzig Jahren 1978 in Wien. Er war im ersten Weltkrieg Soldat, wurde
für seine Tapferkeit ausgezeichnet, wurde Jurist, schrieb aber mehr und mehr Theaterkritiken, fand als blendender Satiriker zum literarisch-politischen Cabaret, gründete 1933 die Kleinkunstbühne
´Literatur am Naschmarkt´, für die er unzählige Beiträge schrieb und sogar einen neuen Typus des Kabaretts entwickelte, das ´Mittelstück´ mit seinem bekannten Volksstück ´Pratermärchen´ ... Aber
auch am ´Wiener Werkel´, der einzigen österreichischen Kleinkunstbühne in der NS-Zeit, die mit Mut, Witz und ironischer Schärfe den Nationalsozialismus kritisierte, war dieser liberale Demokrat
der entscheidende Autor. Was für ihn übrigens besonders gefährlich war, weil seine Frau Gerda Waschinsky Jüdin war. Und sein Sohn Rupi, der spätere Burgtheaterdramaturg, war für die NS-Ideologen
eben auch ein ´Halbjud´. Rudolf Weys hatte beide nach dem Anschluss all die Kriegsjahre hindurch im Schatten des Klosters Admont im Gesäuse verstecken können.
Johannes Terne, der den damals vierzigjährigen Rudolf Weys spielt, kommt aus Dresden und war zehn Jahre lang ein festes
Ensemblemitglied des Burgtheaters. Er hat an der Burg mehr als vierzig Rollen gespielt. Unter der Regie von Andrea Breth, Martin Kusej, Dimiter Gottschew und Frank Castorf. Dann kamen die
Fernsehjahre. Wir haben ihn in mehreren ´Tatorten´ gesehen, in mehreren ´Polizeiruf´- Folgen, und im letzten Jahr wurde er in Deutschland und Österreich vor allem durch seine sympathische Rolle
in der Fernsehserie ´Rote Rosen´ bekannt.
Michaela Ehrenstein als die Schauspielerin Christl Räntz
Christl Räntz war der Star im ´Wiener Werkel´. Sie war Schauspielerin und Sängerin. Sie erfüllte alle ihre Rollen nicht nur mit
einer großen menschlichen Wärme, es ging von jeder ihrer sorgfältig erarbeiteten Gesten, von der Modulierungsfähigkeit ihrer Stimme und ihrer mimischen Ausdruckskraft für die Zuschauer des
Cabarets ein unwiderstehlicher Zauber aus. Sie war nicht nur die Freundin des Direktors, sie wurde auch seine Nachfolgerin, als Müller-Reitzner als Einundvierzigjähriger plötzlich starb. Die
Nationalsozialisten machten ausgerechnet Christl Räntz zur Direktorin des ´Wiener Werkels´ ohne dass sie je Parteimitglied gewesen war. Und ohne dass sie das auch jetzt wurde. Sie war plötzlich
Direktorin, obwohl der Reichsminister Goebbels höchstselbst ihr Stück ´Des Odysseus Reise durch Großgriechenland´ wegen Wehrkraftzersetzung abgesetzt hatte. Aber das Allererstaunlichste an dieser
Frau war: Im Juni 1945 - die Kärntnerstrasse präsentierte sich als Hügellandschaft, die Wollzeile war durch Brände verwüstet, die Burg, die Oper und der Stephansdom lagen in Trümmern - gab der
Stadtrat Matejka dem Hausautor Rudolf Weys die Spielkonzession, beließ aber Christl Räntz in all ihren anderen Funktionen, und das ´Wiener Werkel´ werkelte schon Wochen nach der totalen
Niederlage unter dem Namen ´Literatur im Moulin Rouge´ wie durch ein Wunder wieder weiter. Mit seinem Star, seiner Direktorin Christl Räntz.
Auch Michaela Ehrenstein ist ausgebildete Schauspielerin und Sängerin, Direktorin der ´Freien Bühne Wieden´ und der ´Sommerspiele
Schloss Sitzenberg´, und wie Christl Räntz hat auch sie plötzlich angefangen, sich selbst den Bühnentext zu schreiben. Im Jahr 2012 hat sie ihr Stück ´Ich will! Das Leben der Bertha von Suttner´
in der ´Freien Bühne Wieden´ uraufgeführt, selbst die Titelrolle gespielt und in diesem Juni wird sie zusammen mit dem Musiker Bela Fischer bei den ´Sommerspielen Schloss Sitzenberg´ eine
Musicalversion dieses Stoffes konzertant vorstellen.
Wilhelm Seledec als Leo Schödl, Schriftleiter des ´Völkischen Beobachters´
Wilhelm Seledec ist Wiener, spielte viele Rollen im Theater der Jugend und in der ´Freien Bühne Wieden´, in meinem Stück ´Direktor
Mahler´ zum Beispiel den Theaterhofrat Kneucker, und in meinem Stück ´Kreisky´ den Androsch-Vertrauten Beppo Mauhart mit seinen sorgsam gewählten Wienerischen Tönen. Er spielte aber auch am
Volkstheater, in der Josefstadt und am Burgtheater, und, was nicht selbstverständlich ist für einen Schauspieler, er schreibt auch. Er ist seit 1976 Kulturredakteur mit dem Spezialgebiet Theater.
Er weiß also besonders genau, wer der historische Leo Schödl gewesen ist. Der im Jahr 1923 beim Marsch auf die Feldherrnhalle dabei gewesen ist und dafür den Blutorden bekommen hat. Der 1934 auch
beim Putschversuch in Wien dabei gewesen ist, wofür er zwar keinen Orden, aber zwei Jahre Gefängnis bekommen hat. Im Jahr 1938 begann er beim ´Völkischen Beobachter´. Für den er dann in den
nächsten Jahren 634 namentlich gezeichnete Artikel geschrieben hat. Unter anderem auch den in unserem Stück erwähnten Leitartikel über dieses verdächtig gefährliche Etablissement, das
´Wiener Werkel´.
Martin Gesslbauer als Reichsminister Goebbels
Goebbels hat nicht mitkämpfen dürfen. Er hat sich 1914 einen Tag lang weinend in sein Zimmer eingeschlossen, als der Militärarzt
ihn wegen seines Klumpfußes kaum angesehen hat. Tragischer Anfang: vom Militär ebenso ignoriert zu werden wie von den Mädchen auf dem Tanzboden, wohin der Schüler Goebbels mit seinen
Klassenkameraden oft hingegangen ist. Das erklärt viel. Der Heranwachsende sucht immer intensiver Gründe für seine Niederlagen. Auch seine Texte werden jahrelang von allen Zeitungen abgelehnt.
Allmählich setzt er nun in seinen Tagebüchern kurzentschlossen das Wort ´Jude´ als Synonym ein für Kapitalist, Republik, Parlamentarismus und Journaille. Grundsätzlich werden Schriftsteller und
Politiker von nun an als Juden bezeichnet, wenn sie ihn ablehnen oder sein Missfallen dadurch erregen, dass sie eine andere politische Meinung haben als er.
Dieser Goebbels trifft nun im Jahr 1941 als mittlerweile allmächtiger Reichsminister in Wien auf eine Cabaret-Bühne, die den
Nationalsozialismus ironisiert und offensichtlich jüdisch unterwandert ist. Jura Soyfer ist Jude und war hier Hausautor, die Ehefrau des Hausautors Rudolf Weys ist Jüdin und einige der anderen
Autoren heimlich auch, kurz, der Konflikt ist da.
Martin Gesslbauer hat wenig von Goebbels. Er ist nicht in der Kleinstadt Rheyth am Niederrhein geboren, sondern in der Großstadt
Wien, er spricht also Wienerisch, keineswegs Rheinisch, er wurde als junger Mann nicht Journalist, sondern sofort Schauspieler, er hat keinen angeborenen Klumpfuss und, vor allem, er war nie
Antisemit. Martin Gesslbauer muss sich alles Goebbelssche erspielen. Aber da er ein leidenschaftlicher Spieler ist, imitiert er die Bewegungen des Reichsministers und besonders seinen rheinischen
Singsang, diesen ganz speziellen Sprachgestus mit sichtbarer Lust. Als Regisseur inszeniert er ja auch nicht nur leidenschaftlich gern Komödien, sondern auch die unterhaltsamsten volksnahen
Operetten wie den ´Vogelhändler´, die ´Cardasfürstin´ und die ´Fledermaus´, ja, Martin Gesslbauer ist so sehr Theatermensch, dass er bei seinen Inszenierungen auch die Bühnenbilder selbst
entwirft und persönlich zusammenbaut.
Gerald Szyszkowitz als Autor
In diesem Stück über das ´Wiener Werkel´ treten nur Autoren auf. Müller-Reitzner, Rudolf Weys und Christl Räntz haben ihre Nummern
meist selbst geschrieben, und Leo Schödl und Joseph Goebbels haben auch Tag für Tag ihre Texte Zeile für Zeile selbst verfasst, denn sie sind beide fleißige Journalisten gewesen.
Und Gerald Szyszkowitz? Der in diesem Stück über lauter ´Schreiberlinge´ den Erzähler spielt, hat selber auch schon über vierzig
Stücke geschrieben und hat, vor allem, den Autor Rudolf Weys, die Hauptfigur dieses Stückes, persönlich sehr gut gekannt.
Wie steht es in der Gegenwart um die Freiheit der Kunst?
Ja, damals, sagt man schnell, damals hat die Kunst es schwer gehabt, aber heute ist das doch alles ganz anders ... Das ist schon
richtig, aber man braucht nur ein paar Kilometer weiter nach Osten zu schauen, nach Ungarn, da klingt die ganze Geschichte schon wieder ganz anders.
Am 15. März 2014 gab Robert Alföldi zum Beispiel, der bis zum Sommer 2013 Intendant am Nationaltheater Budapest gewesen ist, dem
´Standard´ ein Interview, aus dem wir einige seiner Antworten übernehmen.
„Nein, meine Arbeit wurde nicht behindert, außer dass die Regierung unser Budget um 50 % gekürzt hat. Ja, alle Menschen, die eine
Meinung vertreten, die von der Meinung der Regierung abweicht, werden sofort als Linke abgestempelt, als Verräter oder als Unchristliche.
Eine Wochenzeitung gab vor kurzem eine Liste mit Theatervorstellungen heraus, die man nicht besuchen soll, weil diese
Theater nicht im Sinne der Regierung agieren. Die Vorstellungen sind allerdings jetzt alle ausverkauft. Denn die Menschen wollen eben ein Theater, das sie nicht anlügt.
Das Theater hat die Aufgabe, nicht zu lügen und nichts zu verschweigen. Es soll ungelöste Fragen aufwerfen, um in unserer
Gesellschaft, die oft Sonnenbrillen vor den Augen hat, einen Diskurs anzuregen. Ich bin davon überzeugt, dass die mangelnde Vergangenheitsbewältigung einer der Hauptgründe dafür ist, wie
unsere Gegenwart heute aussieht.“