Enzersdorfer Dramaturgie - 5. Stück, 10. bis 12. Juli 2014

Gerald Szyszkowitz

ENZERSDORFER DRAMATURGIE vom 10. bis 12. Juli 2014

5. Stück: LIEBELEI


Der Grundeinfall bei der „Liebelei"

Dieses Theaterstück ist eine sehr anrührende Tragödie, gesättigt von einem spe­ziell österreichischen Lokalkolorit, von dem Richard Alewyn gesagt hat, es gibt keine Dichtung, in der mehr Wiener Luft weht... Schnitzler hat diese Geschichte im Jahr 1894 geschrieben, er war damals 32 Jahre alt, und darum habe ich diesen Fritz Lobheimer, die männliche Hauptrolle, auch nicht mit einem Zwanzigjähren besetzt, sondern mit einem jungen Mann, der, weiß Gott, schon allerhand erlebt hat.

Im ersten „Liebelei- Film" übrigens, den der Autor selber noch gesehen hat - es war ein dänischer Stummfilm - tragen die beiden 'jungen Leute', wie Schnitzler sie nennt, nicht Uniform, sondern Zivil. Erst in vielen Inszenierungen später hat man beide Herrn von vornherein in Uniformen gesteckt, um zu zeigen, was für eine prägende Macht damals das Militär in der Gesellschaft der Jahrhundertwende in Wien gehabt hat, aber da wir heute in unserer Gesellschaft keinerlei Uniformwahn mehr spüren, tragen unsere 'jungen Leute' wieder Zivil. In unserer Aufführung ist nicht die Uniform das Problem des Liebespaares, sondern die Untreue. Der dramaturgische Grundeinfall ist einfach. Eine junge Frau liebt einen jungen Mann und erfährt, dass er in einem eher zufälligen Duell umgekommen ist. Das ist schrecklich, aber noch schlimmer ist es für sie, erfahren zu müssen, dass er sich nicht ihretwegen, sondern wegen einer anderen Frau auf dieses Duell eingelassen hat. Als sie jedoch auch noch erfährt, dass er diese andere Frau gar nicht mehr geliebt hat, springt sie aus dem Fenster.

Fritz und Christine sind also keineswegs ein klassisches Liebespaar wie Tristan und Isolde, sie sterben keinen Liebestod, sie sterben nicht miteinander oder füreinan­der, sie sterben keinen erhebenden, keinen tröstlichen, sondern einen absurden, bösen Tod. Hier wird sinnlos teuer bezahlt und grausam spät einkassiert.


Die Charaktere

Hans Weiring

Der Witwer Hans Weiring spielt die Violine im Bühnenorchester des Theaters in der Josefstadt, und ist der Vater seiner einzigen Tochter Christine, die sich jetzt gerade in einen 'jungen Herrn' verliebt hat. Diese Geschichte macht dem Alten Sorgen, denn dieser Herr hat keinen Beruf, aber andererseits ist der Vater auch froh, dass seine Tochter nun nicht dasselbe Schicksal hat wie seine Schwester, die immer „zu Haus eingsperrt gewesen ist, und also ihr Lebtag lang nix erlebt hat", sagt er, „ich hab meine Schwester sehr gut behütet vor allen Gefahren - aber auch vor allem Glück".

Johannes Kaiser, der bei uns die Rolle des alten Weiring spielt, hat eine echte Be­gabung für die Tragödie. Wenn er sich schwer niedersetzt, bricht eine Welt zusam­men. Manchmal auch der Stuhl. Aber das ist eine andere Geschichte ... Was ich meine, ist, er kann richtig 'echt' sein. Und alles in einer Aufführung sollte ja echt sein, alles muss zur gleichen Zeit aber auch sehr gut gespielt sein. Nur wenn das allen Schauspielern gelingt, erleben wir eine gute Aufführung.

Johannes Kaiser hat im Volkstheater gespielt, im Raimundtheater, war achtundzwanzig Jahre lang ein festes Ensem­blemitglied im Theater der Jugend, ist dann aber immer häufiger im Fernsehen aufgetreten, in der Serie „Rosa und Rosalind", im „Ring­straßenpalais" und in einigen „Tatorten", seit neuestem spielt er häu­fig in der Freien Bühne Wieden und in diesem Sommer zu unserer Freu­de bei uns, bei den ers­ten SOMMER SPIELEN SCHLOSS HUNYADI.

Christine

Das süße Mädel Christine Weiring ist in der Vergangenheit viel zu Hause gewesen, hat genäht und für ihren Vater Noten geschrieben - sie hat eine schöne Stimme, die aber nur fürs Zimmer reicht, sagt der Vater, leben kann man davon nicht, viel­leicht kann er sie jedoch später einmal beim Chor im Theater unterbringen, aber seit einigen Tagen geht die Christine auffallend viel spazieren. Weil sie den Herrn Fritz kennen gelernt hat und soo glücklich ist mit diesem Menschen ... Aber das Glück ist radikal vorbei in dem Moment, in dem sie seinen plötzlich schwarz geklei­deten Freund Theodor sieht, und ihm ansieht, dass der ihr nicht und nicht sagen kann, was er offensichtlich schon weiß ... Sie greift sich an die Stirn, sie will es nicht begreifen, dass ihr Fritz tot ist, sie geht langsam auf den schwarz gekleide­ten Theodor zu, nimmt ihn am Arm und schreit wie wahnsinnig, aber immer noch so, als frage sie sich selbst: „Er ist... tot?"

Diese Traumrolle spielt bei uns die auf allen Proben immer gut gelaunte Kerstin Raunig. Ein Sonnenkind, meinen alle, aber in dieser Frau steckt auch ein tiefer Schmerz, der in dem Moment, in dem sie den Betrug bemerkt, ohne jede Scham aus ihr herausbricht, dieser Schrei der Verzweiflung, dieser aggressivste Schmerz einer aus allem, was sie bisher umgeben hat, hinausgestoßenen Frau. Diese Christine Weiring ist für die junge Schauspielerin Kerstin Raunig die erste große, klassische Rolle bei den SOMMER SPIELEN SCHLOSS HUNYADI.

Mizi Schlager

Die Schlagermizi ist das genaue Gegenbild zur Christine. Bei ihrem ersten Auftritt kommt sie schon mit einer Boa. Die Christine würde so eine Boa nie tragen. Und die Schlagermizi sagt zum Beispiel auch über irgendeine ihrer Liebesgeschichten völlig locker: „Aber ich bitt euch, wer wird denn im Mai an den August denken!" Das würde die Christine nie sagen. Die denkt von vornherein nur an das Glück als an einen einschränkungslosen Zustand. Glück ist Glück. Wenn mans hat. Da denkt man nicht, wie lang das dauert.

Auch in der Berufsfrage sind die beiden verschie­den. Die Christine hat keine richtige Beschäfti­gung, die Schlagermizzi dagegen ist eine ausge­bildete Modistin. Das sieht man schon an dem schicken kleinen Hut mit der rosa Schleife, den sie trägt. Und im Umgang mit den Män­nern reagieren die beiden erst recht ganz unterschiedlich. Die Schlagermizi lässt sich nicht nur von ihrem Theodor gern küssen, sondern auch vom Fritz. Die Christine ist da gschamiger Die Schlagermizi wird bei uns von der jun­gen Schauspielerin Christina Jägersberger gespielt. Sie hat die Schauspielausbildung an der Schauspielakademie Ott im Jahr 2011 abgeschlossen, hat seitdem an der Universität allerlei studiert und im Burgtheater allerlei gespielt, gesehen habe ich sie zum ersten Mal in der Freien Bühne Wieden als Steffi, einem Wiener Mädl in dem Stück „Messenhauser" von Wilhelm Pellert, bei uns im Schloss Hunyadi ist sie in diesem Frühjahr schon in zwei szenischen Lesungen erfolgreich aufgetreten, aber in der „Liebe­lei" bei diesen SOMMER SPIELEN SCHLOSS HUNYADI spielt sie ihre erste große, klassische Rolle.

Katharina Binder

Diese mit einem 'Strumpfwirker' offenbar gut verheiratete Frau ist die Nachbarin. Für Schnitzler sichtlich das Urbild einer 'Vorstadt-Tratschn', da sie sofort den Fritz Lobheimer, mit dem ihr Mann die Christine gesehen hat, schlecht machen will. Mit dem sollte ein anständiges Mädel nicht gesehen werden. Und mit dieser neuen Freundin, der Schlagermizi, auch nicht. Das sei keine gute Gesellschaft. Kurz: diese Nachbarin wirkt sofort nicht sympathisch, nur hat sie leider, wie sich am Schluss herausstellt, sehr mit all ihren Warnungen Recht.

Gespielt wird sie von der sehr sympathischen Christine Renhardt. Die ist wie die Binder eine geborene Wienerin, hat ihre Ausbildung in der Schauspielschule Krauss bekommen, war an der Studiobühne Villach, am Stadttheater Klagenfurt, am Landestheater Salzburg und am Stadttheater Baden engagiert, spielte im The­ater der Jugend, im Theater in der Josefstadt und in der Freien Bühne Wieden, trat bei vielen Sommerspielen rund um Wien auf, und spielt in diesem Sommer zu unserer Freude bei uns, bei den ersten SOMMER SPIELEN SCHLOSS HUNYADI.

Fritz Lobheimer

Er ist der typische „junge Mann aus gutem Haus", wohlerzogen, grad he­raus und relativ anständig, aber eben, wie sein Freund Theodor sagt, „so gar kein Mensch, der sich selber aus ei­nem Abenteuer heraus ins Freie retten kann". Es geht ihm an sich gut, er hat eine eigene Wohnung in der Strohgas­se, einen eigenen Diener, seine Eltern haben hinter irgendwelchen Kukuruz­feldern in den Ebenen der Slowakei ein Gut, wo sie ihn erwarten - wenigstens zu Pfingsten ein paar Tage, aber er kann halt im Moment keinesfalls weg aus Wien.

Erstens hat er sich hier grad in das Fräulein Christine verliebt, und zweitens ist er da leider in eine ganz unangenehme Gschicht mit einer Dame reingerutscht, deren Mann - hat sie ihm heute gesagt, sie beide heimlich beobachtet... Nun ver­sucht er sich zwar einzureden, dass sie sich irrt, denn er hat ja noch gestern mit diesem Ehepaar „nach dem Theater soupiert, und da ist es sehr gemütlich gewe­sen", erzählt er seinem Freund Theodor, und er denke ja auch schon überhaupt gar nicht mehr an diese Dame, er habe doch nur noch die Christine im Sinn ... Er habe sich schon soo lang nach so einem Mädel gesehnt, nach „so einer Zärt­lichkeit ohne Pathos, nach so was Süßem, Stillem, wo ich mich von den ewigen Aufregungen und Martern erholen kann", kurz, dieser hübsche, wohlerzogene, nicht mehr ganz junge Mann mit eigener Wohnung und eigenem Diener, der bis­her offenbar ganz ohne Probleme durchs Leben gekommen ist, scheint plötzlich richtig durcheinander zu sein.

Bei uns spielt diesen einerseits etwas gehemmten, andererseits manchmal über­raschend zügellosen Mann der Schauspieler Robert Ritter aus Brünn. Er ist in Raabs an der Thaya in die Schule gegangen, bekam seine Schauspielausbildung bei Vittori in Mailand, an der Juillard-School in New York und am Konservatorium in Wien. Er spricht Tschechisch, Italienisch, Englisch, Französisch und Deutsch, hat im Theater in Baden, im Stadttheater St. Polten, am Theater in der Josef­stadt und in der Freien Bühne Wieden gespielt, ist durch einige Fernsehrollen und mehrere Filme von Lummersdorfer, Novotny, Allahyari und Hirschbiegel bekannt geworden, in diesem Sommer aber spielt er zu unserer Freude hier bei uns, bei den ersten SOMMER SPIELEN SCHLOSS HUNYADI.

Theodor Kaiser

Diesen jungen Herrn Theodor lässt der Autor schon in der ersten Szene mit Über­zieher, Hut und Spazierstock auftreten. Comme il faut. Und comme il faut wäre es für ihn jetzt auch - da was Unangenehmes in der Luft liegt, wenn sein Busen­freund Fritz ein halbes Jahr aufs Land gehen könnt... Reiten, Kutschieren, frische Luft, Sennerinnen ... Das würde ihm gut tun, sagt der Theodor, aber leider will der Fritz ja nicht.

Er selber kann leider auch nicht weg aus Wien, er muss sein Rigorosum machen, er ist ja noch Student. Wenn er auch vornehmlich „die Weiber studiert", wie er sagt, „alle, die ihm unterkommen, soweit sie nur jung und hübsch sind." Denn alles geht, sagt er, man darf nur keine Dummheiten machen. Das heißt, man darf nichts ernst nehmen bei diesen Unternehmungen. Er selber sei ja auch genau deswegen, sagt er, strikt „gegen alle diese sogenannten interessanten Weiber". Er suche sein Glück ausschließlich dort, wo der Beginn keine Schwierigkeiten mache, und das Ende keine Qual.

Pierre Gold, Sohn eines Cafetiers aus dem dritten Bezirk, der bei uns den Theodor Kramer spielt, weiß, was ein Student ist. Vor drei Wochen war er noch selber einer. Er hat nach einem dreijährigen Studium an der Schauspielschule Ott gerade recht­zeitig am 16. Juni 2014 seine Abschlussprüfung gemacht ... Allerdings ist dieser Theodor Kramer nicht seine erste Rolle in Maria Enzersdorf, er ist schon im Jahr2012 in dem Nestroystück „Umsonst", der letzten Ott-Inszenierung auf dem Liechten­stein, hier aufgetreten. Der Theodor Kramer bei den SOMMER SPIELEN SCHLOSS HUNYADI ist aber seine erste große, klassische Rolle.

Ein Herr

Dieser sehr korrekt gekleidete Fremde tritt in der Mitte des ersten Aktes auf, spricht anfangs mit einem auffallend leichten Ton, die längste Zeit sogar lächelnd, ja, er redet mit dem ihm sichtlich gut bekannten Fritz Lobheimer scheinbar ganz so wie die beiden Herrn gestern am Abend, nach einem gemeinsamen Theaterbe­such bei einem Souper miteinander Konversation gemacht haben. Erst allmählich wird dieser zurückhaltende Herr lauter, weil dieser Fritz Lobheimer nicht zu ver­stehen scheint, dass es hier nicht mehr um eine Verabredung zu einem weiteren Abendessen geht, sondern um Leben und Tod. Der merkt das erst, als ihm dieser fremde Herr mit schmalen Augen die geheimen Liebesbriefe seiner Frau hinwirft.
Bei uns spielt diesen Herrn der Schauspieler Michael Bukowsky, der seine ruhige, abwarten­de Art von Selbstdisziplin in sei­ner jahrelangen Arbeit als ORF - Besetzungschef ausgebildet hat. Aber ich weiß, der Schau­spieler Bukowsky kann auch abgrundtief wütend werden, und er zeigt das auch.
In den ORF - Tatorten spielte Michael Bukowsky jahrelang den Assistenten des Kommissars, in unserer „Liebelei", bei den ersten SOMMER SPIELEN SCHLOSS HUNYADI, spielt er nun selber eine Art Kommissar, der seinen Fall selbst sehr effizient löst.