Die Wiener Dramaturgie - 15. Stück


Gerald Szyszkowitz

 

DIE WIENER DRAMATURGIE

der Freien Bühne Wieden, fünfzehntes Stück, am 08. Jannuar 2009

 

DAS WICHTIGSTE IN JEDEM STÜCK

IST DIE HAUPTFIGUR

 

Lessing schrieb als Schluss seiner "Hamburgischen Dramaturgie" am 19. April 1768 sein "hundertstes Stück". Ich hatte nicht einen so langen Atem, ich schreibe - heute am 8. Januar 2008 - das fünfzehnte als das letzte Stück meiner "Wiener Dramaturgie".

Er hatte wohl mehr zu sagen als ich.

Manche werden denken, was hat denn der Herr Szyszkowitz andauernd mit diesem Lessing? Was hat der denn mit der Wiedner Hauptstraße zu tun? Bitte schön: Am 7. Mai 1775 schreibt er seinem Bruder Karl: "Als ich gerade erst einmal zehn Tage in Wien gewesen bin, wo ich überall die allerbeste Aufnahme erhalten, auch gleich die ersten Tage den Kaiser und die Kaiserin gesprochen hatte..."

Unser Lessing hat also nicht nur Wien besucht, sondern gleich auch die Kaiserin Maria Theresia; aber er war damals nicht nur bei Hof, er war auch in der Wiedner Hauptstraße. Weil seine Frau - Wiedner Hauptstraße, Ecke Ziegelofengasse - eine Fabrik gehabt hat. Eine Samt- und Seidenfabrik, die der Dichter Lessing und seine Frau dem Kaiser und der Kaiserin damals verkaufen wollten.

Aber zurück zu seinem Abschiedsstück in der "Hamburgischen Dramaturgie". Zwei Punkte kann ich da auch auf mich beziehen. "Ich bin weder Schauspieler noch Dichter", schreibt er, "ich selbst würde arm, kalt und kurzsichtig sein, wenn ich nicht einigermaßen gelernt hätte, fremde Schätze bescheiden zu borgen ..." Und diese Kunst des Borgens war nicht nur für unseren Genius loci, sondern auch für mich sehr wichtig. Praktisch alle Sätze, die Sie heute hören, sind Originalzitate. Schon der erste Satz der ersten Szene. Der Kanzler kommt auf die Bühne und sagt: "So wie sich der Hannes des vorstellt, so

g e h t des net!"

Der zweite Bezugspunkt ist: In meiner "Wiener Dramaturgie" habe ich versucht - wie Lessing in seiner -, jeden Schritt des Theaters, sowohl die der Autoren wie die der Schauspieler, kommentierend zu begleiten. Auch kritisch. Weil wir uns gegen jede Routine wehren wollten. Wir wollten - ganz im Sinne von Lessing und seiner "Hamburgischen Dramaturgie" - nicht Nachahmer von im Ausland schon Gespieltem sein. Wir wollten von vornherein

U r a u f f ü h r u n g e n herausbringen. Nichts, was die Kollegen in New York, Paris oder Berlin schon ausprobiert hatten, nein, wir wollten immer das volle Risiko. Wie auch heute. Mit diesem ersten Kreiskystück der österreichischen Theatergeschichte.

Dieses Stück ist übrigens unter all meinen "historischen Stücken" ein Sonderfall. Denn dem Kanzler Figl und all den anderen Großen von Schubert bis Mahler bin ich persönlich ja nie begegnet, aber Kreisky doch. Und das hat mich auch beim Schreiben eine Zeitlang behindert. Ich bin Kreisky zwar nur kurz begegnet - viel zu kurz um daraus einen Bühnendialog zu machen -, aber seinen Streit mit seinem Finanzminister haben wir doch sehr ausführlich nicht nur auf dem ORF-Bildschirm verfolgt, sondern er wurde auch monatelang vor und nach allen ORF-Hauptabteilungsleitersitzungen heftig diskutiert ... Nicht nur, weil ich damals ja eine ganze Reihe von Konzerten aus dem Finanzministerium übertragen habe, kurz, ich näherte mich dem Stück sehr vorsichtig. Eher literarisch. Schiller lesend. Darum war der erste Entwurf auch eine Paraphrase des Kampfes des jungen Don Carlos mit seinem mächtigen Vater Philipp von Spanien. Diese Idee funktionierte aber doch nicht recht, denn mein jugendlicher Posa wurde dem "idealistischen" Kreisky immer ähnlicher, und der "realistische" Finanzminister wurde immer mehr zu einer Art "König Philipp". Was aber wohl vom Alter her wie auch in vielen anderen Punkten nicht passte. Also warf ich diesen Entwurf bald weg.

Die nächste Annäherung versuchte ich über die erprobte Dramaturgie des Intrigantenstückes "Professor Bernhardi" von Schnitzler. Aber auch in diesem, schon etwas spielbareren Entwurf, emanzipierten sich die Figuren, so dass von der ursprünglichen Dramaturgie bald gar nichts mehr vorhanden war. Also wurde ich endlich mutig und versuchte wieder einmal ohne die Fesseln einer vorgegebenen Dramaturgie ausschließlich Originaltexte aneinander zu reihen, die ich vor allem in Kreiskys Memoiren, im Buch von Beppo Mauhart und im Kreisky-Buch von Elisabeth Horvath gefunden hatte. Diese dritte Fassung des Stückes sehen Sie heute.