Die Wiener Dramaturgie - 6. Stück


Gerald Szyszkowitz

 

DIE WIENER DRAMATURGIE

der Freien Bühne Wieden, sechstes Stück, am 13. Februar 2007

 

Lessing schreibt am 14. Juli 1767 im 22. Stück seiner ´Hamburger Dramaturgie´ über die ´Kranke Frau´ des Herrn Gellert: Ohnstreitig scheine unter den komischen Schriftstellern Herr Gellert derjenige zu sein, dessen Stücke das K o m i s c h e am direktesten treffen. In seinen Stücken sei man sogleich ´zu Hause´. Jeder Zuschauer glaube, einen Schwager auf der Bühne zu erkennen und ... Ebenso komisch finde ich jedesmal wieder die Figuren von H e r b e r t R o s e n d o r f e r. Von dem wir nun schon die f ü n f t e Uraufführung bringen ...

 

Erstens, weil unsere letzte Aufführungsserie seines Stückes ´Süßmayr oder Die Rückkehr ins Serail´ im April 2006 zu 100 % ausverkauft gewesen ist, vor allem aber weil Herbert Rosendorfer ein D i c h t e r ist.

 

Lessing schreibt: Ein D i c h t e r ist einer, der den Narren dieser Welt, die allesamt platt, frostig und ekel sind, etwas von dem S e i n i g e n mitgibt, von der e i g e n e n Menschlichkeit, seinem e i g e n e n Lebensverständnis und ... Herbert Rosendorfer tut das.

 

Nehmen wir zum Beispiel die Figur, die bei uns der Schauspieler Willy Seledec spielt. In der ´Locandiera´ des Goldoni ist dieser Marchese di Fortipopoli ein eher unangenehmer Angeber und Parasit, in unserer Aufführung aber versuchen wir, auch Mitleid für ihn zu erwecken, ja sogar ein gewisses Verständnis für seine Angeberei aufzubauen. Wir wollen keinen zeigen, der immer schon ein unangenehmer Kerl gewesen ist, sondern einen Marquese, der auf recht unglückliche Weise in die ´Fänge der Justiz´ geraten ist, und sich nun durchschlagen muss, ohne einen sinnvollen Beruf gelernt zu haben. Willy Seledec spielt einen Herrn, der s e l b s t leidet, dass es ihm nicht gelingt, seriös zu Geld zu kommen ... Und wenn er so hungrig ist, dass er von fremden Tischen essen m u s s , tut er das höflich. Sein ´Mundraub´ geschieht mit einer speziellen Melancholie im Auge, die sich ständig dafür zu entschuldigen scheint, dass es so Leute wie ihn leider a u c h gibt auf dieser Welt ... Leute, die als Parasiten leben, weil sie zu nichts anderem erzogen worden sind ...

 

Willi Seledec spricht nie grob, kostümiert sich nie übertrieben, hat nie etwas von einem Miles Gloriosus - einem dieser bramarbasierenden Angeber -, er will mit seinen Geschichten nie ´andere beindrucken´, er will seine Zuhörer viel eher ´unterhalten´. Er will auch etwas dafür bieten, dass man ihn gratis da wohnen lässt, gratis mitessen lässt an fremden Tafeln, kurz, er spielt in diesem toskanischen Gasthof bewusst eine Art ´Entertainer´, einen ´Amuseur publique´, der versucht, wenigstens etwas ´Amüsantes´ zur Unterhaltung beizutra-gen, wenn er schon nichts bezahlen kann, kurz, er tut nicht nur so, er ist t a t s ä c h l i c h liebenswürdig ... Bei Goldoni gibt er damit an, dass er einen ´erlesenen Geschmack´ hat, bei uns h a t er Geschmack, das ist der Unterschied.

 

Lessing schreibt: Ein Dichter muss alle Figuren ´aufputzen´, ihnen Witz und Verstand geben, um das Armselige,das jeder Mensch a u c h hat, zu bemänteln. Ein Dichter muss a l l e n seinen Figuren was ´Besonderes´ geben und - der Dichter Herbert Rosendorfer tut das ...

 

Und d a s ist übrigens auch eines der Geheimnisse einer guten Regie: J e d e r Schauspieler muss was möglichst B e s o n d e r e s sein!

 

Auch und gerade die Diener ... Und so wurde aus dem Arlecchino der Commedia dell Arte bei uns Carlo, der ´Vertraute´ des Cavaliere, dessen Komik nicht mehr aus dem Arlecchino-Repertoire kommt, sondern aus ganz realistischen Situationen, die Gerhard Rühmkorf auch ganz realistisch spielt. Er zeigt vor allem die Lebenserfahrung dieses lebenslang beobachtenden Vertrauten seines Herrn.

 

Aus einem ähnlichen Grund ist auch aus dem ´dümmlichen Diener der Mirandolina´ der liebenswürdige junge Mann Fabricio geworden - gespielt von Johannes Wolf -, der zwar scheinbar immer etwas zu langsam ist, aber doch als Erster merkt, dass ´die Chefin´ - wie er sie trotz ihres Unwillens von Anfang an nennt - nie seine Geliebte werden, sondern immer ´seine Chefin´ bleiben wird ... Denn sie ist ihm zwar versprochen, ja, sie schäkert auch manchmal geschwisterlich mit ihm, aber l i e b e n tut sie doch einen anderen.