Gerald Szyszkowitz

 

MARLOWE UND DIE GELIEBTE VON LOPE DE VEGA

 

Novelle

 

Edition Roesner, Krems 2016,165 Seiten

 

ISBN 978-3-903059-11-5________________

 

Nein, wir wollen nicht der nach wie vor heiß diskutierten Frage nachgehen, ob nun Chris­topher Marlowe der wahre Autor Shakespeare" sei oder doch bereits 1593 als Endzwan­ziger ermordet wurde. Der Autor ist von der Rettung Marlowes überzeugt und weist seine Haltung im zeittabellarischen Anhang l nach (bzw. stellte sie 2015 im Bändchen Dos falsche Gesicht oder Marlowe ist Shakespeare ausführlich dar). Man möge ihm als Leser unbedingt glauben, denn nur dann behält die Handlung das heimliche Feuer, das Hand­lung und Handelnde durchdringt, einmal wärmend, einmal lodernd, einmal rasant sich ausbreitend, einmal still glosend. Immerhin steht praktisch fest, dass das Porträt auf dem Buchcover, dessen Identität hier allerdings nicht gelüftet wird, den fraglichen Mann im Alter von 21 zeigt (damit rund ein Jahrzehnt vor den Ereignissen der Novelle): Ein Kopf, weich und nachdenklich, sensitiv im Blick und forschend zugleich und, sieht man vom helmbuschartig abstehenden Haar ab, durchaus ansehnlich und anmachend. Was, nota-bene, sein vom Autor öfters zitiertes" Stottern offenbar für die Frauen zur Nebensache gerinnen ließ.

 

Des Mannes mehrfach angeführtes (lateinisches) Lebensmotto passt auf jeden Fall zur vor­liegenden Geschichte: Was mich ernährt, zerstört mich. Als Bedingung für sein Überleben verdingt sich ChM gemäß Szyszkowitz beim englischen Geheimdienst und bewegt sich im Buch nun von 1605 bis etwa 1611/16 im Mittelmeerraum: konkret in Spanien, danach im spanisch beherrschten Neapel, zwischendurch auf Tour, darunter eine Reise bis zu den Bermudas, schließlich in Venedig. Das Spionieren führt zu mehrfachen Namenswechseln (von Antonio di Lareda über Gregorio de Monti bis Tobias Matthew, um nur die entschei­dendsten zu nennen) und folgerichtigem verdecktem und halboffenem Versteckspielen (Der Kluge duckt sich am längsten im Dunkeln [64]), zu Rücksichtsnahmen und Aktionen, stets verbunden mit der Hoffnung auf Rehabilitierung im heimatlichen England. Trotzdem konzentrieren sich im Text die Erlebnisse und Handlungen ChMs auf eine zahlenmäßig überschaubare Personenzahl, hinter der man den Dramaturgen Szyszkowitz ahnt. Da sind zum einen die historischen Figuren, am Rande der Vizekönig in Neapel und natürlich die Poeten: Der mit demselben Sprachfehler ausstaffierte Cervantes, dessen Don Quichote im Kap. 38 eine Beziehung zu ChM aufweisen [Anhang II] und den unser Held unter dem Pseudonym Thomas Sheldon übersetzt haben soll, sowie der Kaltblüter Lope de Vega, pausenloser Produzent für die Madrider Bühne. Ihnen gesellen sich zwei Frauen hinzu: die nicht unhübsche Bediente Marita, eigentlich eine auf Marlowe angesetzte Agentin, sowie, natürlich, die zweite Titelheldin, die attraktive und, gemäß dem oft kolportierten Berufs-Usus, erotischen Abenteuern nicht abgeneigte Schauspielerin Micaela de Lujän. Die Beziehung beider (ChM und MdL) weist, wie könnte es anders sein, nicht nur den zwei maligen Abgang Lope de Vegas, sondern zudem einige Kehrtwendungen auf, manchmal auch Winkelzüge. Es wechseln sich sinnliche Anziehung mit gemeinsamen Produktionen dank hoher doppelseitiger Bühnenerfahrung ab (Sie [d.i. MdL] weiß, mit welchen Worten man eine Figur auf der Bühne erschaffen kann [51]) bis zu der am Ende und nochmals unter schwierigen Umständen stattfindenden definitiven Vereinigung, stets vermischt mit den jeweiligen Bindungen an Beruf (Theater) und Job (Spionage), an die verschiedenen Personen und an die Zeitumstände.

 

Es würde die Möglichkeiten sprengen, wollten wir die Ent-, nein, die Verwicklungen nach­zeichnen. Folgen wir lieber dem Autor als Dramaturg. 1. Keine lineare Entwicklung also und doch eine durchaus folgerichtige Entwicklung: Das Stück will ja zu einem stimmi­gen Ende gebracht sein. 2. Zahlreiche Bühnenstücke der fraglichen Zeit, namentlich die shakespeareschen", werden erwähnt und bekommen, auch als Unterstützung der Ein­gangsthese, durch konkrete Hinweise auf Verarbeitung von Marlowes Erfahrungen - ins­besondere die erste Liebe ChMs in Romeo und Julia und die Bermudareise im Der Sturm - ihre spannende Relevanz. 3. Es handeln im ureigensten Verständnis die Personen, die zum einen, gerade im Kleinen/Alltäglichen, mit konkret berichteten, mehr oder minder wirkungsvollen Handlungen verbunden werden, die in ihrer Darstellung doch ein wenig nach Regieanweisungen klingen, zum anderen in Dialogen, die die Figuren überzeugend von innen heraus charakterisieren. Wie oft in der Regiearbeit lassen sich zugleich Bezüge zum Heutigen herstellen; hier werden sie vor allem sprachlich (mit)geliefert: vom Secret Service über das Pyjama bis zum Führungsoffizier (im Vatikan). Diese Aktualisierung gelingt auch, weil der Autor sich selbst am Beginn und zwischendurch mit der Einstellung Denk ich oder Stell ich mir vor als investigativer Ermittler (wenn auch nicht als Schlusskommentator vor dem Vorhang) mit einbringt, wobei sich manchmal die beiden Ebenen verschränken (z.B. 48). Damit verbunden sind einige schöne Anmerkun­gen zur Jetztzeit, wenngleich meist in historischer Rückblende. Sehr eingängig: Bei Mänern sind Liebe und Betrug kaum zu trennen (55), Heutzutage bedroht man Menschen eben nicht mehr mit dem Dolch, sondern mit einem Dossier (62). Insbesondere lässt die verstreute Kommentierung [ChMs] des Schreibens für die Bühne aufmerken, Theorie und Anleitung zugleich; eine kleine Auswahl: Dos Wesentliche in der Literatur ist das Maskenspiel. Die Wirklichkeit wird zur Phantasie der Bühne (66). Was ich fühle, lass ich meine Figuren sagen. Ohne jemanden zu fragen, ob ich das darf (68). In der Geschichte [Der Sturm] geht es um einen, der sich nicht unterkriegen lässt. Und das ist immer gut im Theater (89).

 

Alles in allem eine Varianten- und temporeiche Tragikomödie, locker und zugleich mit Tiefgang erzählt: zweifellos ein lohnendes Leseerlebnis.

 

Martin Stankowski