Er oder nicht er – ist das noch die Frage?

von Dr. Heiner Boberski

Er oder nicht er – ist das noch die Frage?

Vor 400 Jahren starb William Shakespeare – für viele der größte Dramatiker, für manche nur der wichtigste „Strohmann“ der Theatergeschichte.

 

Von Heiner Boberski

 

Kurz vor dem 400. Todestag von William Shakespeare hat die

Britische Nationalbibliothek anlässlich einer Ausstellung diesem Autor erstaunlich aktuelle Zeilen zugeschrieben: „Und wäret Ihr verbannt / wohin ginget Ihr?“ Wer sich Verfolgung in der eigenen Heimat vorstelle, würde wohl „nach Frankreich oder Flandern / in jedwed’ deutsches Land / nach Spanien oder Portugal / egal, wohin, wenn nicht an England grenzend“ fliehen: „Und Ihr wäret zwingend Fremde.“
Dieser Aufruf für einen humanen Umgang mit Migranten fällt in die Zeit, als viele Hugenotten aus Frankreich nach England flohen und dort nicht gerade auf Willkommenskultur stießen. Er stammt aus dem Stück „Sir Thomas
More“, das ein Autorenkollektiv verfasst, Shakespeare selbst aber überarbeitet und stark bereichert haben dürfte. Zu seiner Zeit hat man das umfangreiche Stück nie auf die Bühne gebracht – wohl wegen des unpopulären Inhalts.

Weil damals Autorengruppen Stücke erarbeiteten und Shakespeare als Bursche vom Land ohne universitäre Bildung galt, wurde immer wieder bezweifelt, ob er all die Werke, die man ihm zuordnet, wirklich verfasst hat. Faktum ist, dass seine Schauspielerkollegen John Heminge und Henry Condell 1623 die berühmte erste Folio-Ausgabe der Werke Shakespeares herausbrachten. Eine solche Ausgabe kostet heute etwa drei Millionen Euro. Auf diesen Wert schätzen Experten jedenfalls die drei fast 400 Jahre alten, in Leder gebundenen Bände, die man kürzlich in einem Haus auf der schottischen Insel Bute entdeckt hat.

Die 36 darin enthaltenen Dramen gliedern sich in drei Gruppen: 14 Komödien, 10 Historien und 12 Tragödien. Sie stehen immer wieder auf den Spielplänen großer Theater und zeigen die Sprachgewalt und Vielseitigkeit eines genialen Autors. Die großen Shakespeare-Figuren von Romeo und Hamlet bis Richard III. und König Lear, oder von Julia und Ophelia bis Lady Macbeth, sind Traumrollen für Bühnenkünstler. Ob „Sommernachtstraum“, „Was ihr wollt“ oder „Viel Lärm um nichts“ – der Mann hatte auf jeden Fall viel Sinn für Humor. Er konnte aber auch meisterhaft historische Persönlichkeiten charakterisieren und politische Winkelzüge im Ringen um die Macht enthüllen, etwa in seinen Königsdramen oder beispielhaft in der Leichenrede des Marc Anton in „Julius Cäsar“ mit dem ständig wiederkehrenden Satz: „Doch Brutus ist ein ehrenwerter Mann.“

Er schrieb „Romeo und Julia“, die größte Liebestragödie der Theatergeschichte, aber auch ein Horrorstück wie „Titus Andronicus“. Er stellte sympathische Charaktere, aber auch solche von abgrundtiefer Bosheit wie den Jago in „Othello“ auf die Bühne. Vielen ist gar nicht bewusst, wie oft Shakespeare zitiert wird, ob nun vom „Stoff, aus dem die Träume sind“ oder davon die Rede ist, man werde sich bei Philippi wiedersehen. Besonders ergiebig ist Shakespeares Meisterwerk „Hamlet“, wo es heißt, dass etwas faul im Staate Dänemark ist, dass Sein oder Nichtsein die Frage ist und es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als unsere Philosophie sich träumen lässt. „Schlag nach bei Shakespeare“ heißt es nicht zufällig im Musical „Kiss me Kate“, das sich an „Der Widerspenstigen Zähmung“ orientiert. Ein anderer Musical-Welterfolg, „West Side Story“, basiert auf „Romeo und Julia“.

Gesichert ist, dass William Shakespeare am 26. April 1564 in Stratford-on-Avon getauft wurde und dort am 23. April 1616 gestorben ist. Er heiratete mit 18 Jahren die acht Jahre ältere Ann Hathaway, lebte viele Jahre als Schauspieler und Mitbesitzer des Globe-Theaters in London und verbrachte seine letzten Lebensjahre wieder in seinem Heimatort. Dort befindet sich auch sein Grab, das man kürzlich mit Röntgenstrahlen untersucht hat, obwohl ein Fluch vor einer Störung seiner Totenruhe warnt: „Gesegnet sei, wer verschont diese Steine, Und verflucht sei der, der bewegt meine Gebeine.“

Wer war Shakespeare wirklich? Der Film „Shakespeare in Love“ zeigte den meistgespielten Theaterautor der Weltgeschichte als jugendlichen Liebhaber, der in „Romeo und Julia“ eigene Erfahrungen verarbeitete. Die Lücken in seiner Biographie machen ihn zu einem unerschöpflichen Objekt der Forschung und für Spekulationen. Die deutsche Anglistin Hildegard Hammerschmidt-Hummel meint, er sei Katholik gewesen und seinem Glauben treu geblieben, was im England seiner Zeit höchst gefährlich war, und trug dazu eine Fülle von Indizien zusammen. Seine Bildung soll er in jenen Jahren, aus denen man nichts über ihn weiß, durch Katholiken auf dem Kontinent erhalten haben. Ein Benediktiner soll Shakespeare auf dem Sterbebett Beistand geleistet haben.

„Das falsche Gesicht“ heißt ein kürzlich erschienenes Buch von Gerald Szyszkowitz, das heuer auch noch auf die Bühne gebracht werden soll. Der österreichische Autor vertritt darin – nicht als erster – die These, dass William Shakespeare die ihm zugeschriebenen Werke nicht selbst verfasst hat, sondern Christopher Marlowe, der offiziell 1593 als bereits arrivierter Autor ums Leben kam. Marlowe habe seine eigene Ermordung nur vorgetäuscht, sei untergetaucht und habe Shakespeare nur als Strohmann benutzt, um seine weiteren Werke auf die Bühne zu bringen. Die Mehrheit der Wissenschaft weist freilich diese und andere Mutmaßungen darüber, hinter Shakespeare verberge sich ein anderer Autor, etwa Francis Bacon oder Edward de Vere, der 17. Earl von Oxford, zurück.

Nur scheinbar ist William Shakespeare am gleichen Tag wie sein spanischer Zeitgenosse Miguel de Cervantes, der Schöpfer des „Don Quijote“, gestorben: am 23. April 1616. In Wirklichkeit überlebte er Cervantes um zehn Tage, denn um diesen Zeitraum wich der Julianische Kalender, an dem England damals noch festhielt, vom neuen Gregorianischen Kalender ab, den Papst Gregor XIII. 1582 eingeführt hatte. Dass der von der UNESCO eingeführte „Welttag des Buches und des Urheberrechtes“ auf den 23. April fällt, ist jedenfalls diesen beiden Autoren zuzuschreiben.

 

 

Dr. Heiner Boberski

geb. 1950, Studium der Theaterwissenschaft und Anglistik in

Wien; 1978–2001 Redakteur der Wochenzeitung "Die Furche", ab 1995

deren Chefredakteur; derzeit Journalist bei der "Wiener Zeitung";

Autor mehrerer Sachbücher, vorwiegend zu Fragen der Religion. Er ist

verheiratet und hat drei Kinder.