Warum man sich DAS WEITE LAND ansehen soll?
Weil dieses Stück eines der schönsten ist. Und auch weil unsere Aufführung besonders berührend sein wird. Die Besetzung ist, das kann ich jetzt schon sagen, ungewöhnlich interessant.
Ich kann nicht alle Sätze, die ich bewundere, hier wiederholen, aber Schnitzlers Doktor Mauer, den Alfons Noventa spielen wird, sagt zum Beispiel: ´Ich hätt nichts einzuwenden gegen eine Welt, in der die Liebe wirklich nichts andres wäre als ein köstliches Spiel … Aber dies Ineinander von Zurückhaltung und Frechheit, von feiger Eifersucht und erlogenem Gleichmut, von rasender Leidenschaft und leerer Lust, das find ich trübsinnig und grauenhaft.´
Sigmund Freud schrieb Arthur Schnitzler zu seinem 60. Geburtstag: ´Ihr Ergriffensein von den Wahrheiten des Unbewussten, von der Triebnatur des Menschen, das Haften Ihrer Gedanken an der Polarität Liebe und Sterben, das alles berührt mich mit einer unheimlichen Vertrautheit.´
Genau das können auch wir sagen. Arthur Schnitzler ist ein wunderbarer Autor, und DAS WEITE LAND sein persönlichstes und klügstes Stück.
Besetzung
DAS WEITE LAND
Friedrich Hofreiter, Fabrikant Johannes Terne
Genia, seine Frau Michaela Ehrenstein
Stubenmädchen bei Hofreiter Vera Bernhauser
Anna Meinhold-Aigner, Schauspielerin Christine Renhardt
Otto, ihr Sohn, Marina-Fähnrich Sebastian Blechinger
Doktor von Aigner, der geschiedene Gatte
der Frau Meinhold Wilhelm Seledec
Frau Wahl Anita Kolbert
Erna, ihre Tochter Johanna Machart
Natter, Bankier Felix Kurmayer
Adele, seine Frau Christina Jägersberger
Doktor Franz Mauer, Arzt Alfons Noventa
Paul Kreindl Pierre Gold
Rosenstock, Portier im Hotel am Völser Weiher Rene Magul
Regie und Bühne Gerald Szyszkowitz
Assistenz Vera Bernhauser
Kostüme Babsi Langbein
Ort der Handlung: Der Garten einer Villa im Süden von Wien im Jahr 1910; nur im dritten Akt ein Hotel am Völser Weiher.
Ehrenstein, Terne
DI Markus Szyszkowitz
Ensemble
GÄSTE
Altösterreichische Befindlichkeiten
Presse-Ressort von: Dominik Lepuschitz
Wien/Maria Enzersdorf [ENA] Wie kaum ein anderer durchschaute Arthur Schnitzler die Befindlichkeiten der österreichischen Gesellschaft am Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit unerbittlicher Schärfe dramatisierte er die
vielen kleinen Lebenslügen, in denen es sich vor allem die Oberschicht bequem gemacht hatte. Deshalb gehen seine Stücke selten gut aus – alles steht auf tönernen Füßen. So auch in seinem vielleicht tiefgründigsten Werk, "Das weite Land", womit, wie er einen Protagonisten auch aussprechen läßt, die Seele gemeint ist. Diese ist bei sämtlichen Charakteren auch schwer geschädigt; nur der Anteil, den sie selbst daran haben, variiert. Zudem haben einige Figuren reale Vorbilder, Menschen, die Schnitzler kannte. Steht im Vordergrund noch beißend-sarkastischer Humor, lauern gleich dahinter Bosheit und Egoismus, die in die ultimative Katastrophe führen. All das in Dialogen, die die ganze Schönheit der deutschen Sprache zeigen.
Gerald Szyszkowitz eröffnete mit diesem ausgesprochen anspruchsvollen Stück die diesjährigen Sommerspiele Schloß Hunyadi in Maria Enzersdorf mit einem Ensemble, das sich diesen Ansprüchen mehr als gewachsen zeigt. Der Dresdner Johannes Terne spielt den selbstgerechten, egozentrischen Friedrich Hofreiter auch mit nicht
österreichischer Aussprache grandios, und man fühlt mit seiner psychisch mißhandelten Ehefrau (sensibel und verletzlich Michaela Ehrenstein). Nicht einmal sein Arzt und Freund Dr. Maurer (Alfons Noventa) kann sein Gewissen erreichen
Johanna Machart bringt die gar nicht so naive Erna Wahl überzeugend auf die Bühne, ebenso wie Christina Jägersberger das beendete "Verhältnis" Adele Natter. Als deren rachsüchtiger Ehemann agiert Felix Kurmayer mit hintergründiger Bosheit, die schließlich auch zum Erfolg führt, und Wilhelm Seledec ist als Doktor von Aigner der Inbegriff des österreichsch-ungarischen Gentleman mit all seinen Unzulänglichkeiten, der es zuiefst bedauert, seinen Sohn Otto (Sebastian Blechinger) nie wirklich kennengelernt zu haben. Als er sich endlich dazu
durchringt, das nachzuholen, ist es allerdings zu spät.
Keine leichte Kost – und doch überaus sehenswert. Hier wird solides, klassisches Theater so präsentiert,
wie es sein sollte, aber nicht immer ist. Barbara Langbeins Kostüme runden das Bild ab, und die Idee, Béla Fischer die Musik als Sologeiger zu übernehmen, erweist sich als wunderbar harmonisch. Eine Gelegenheit, die Theaterliebhaber wahrnehmen sollten.
Weitere Informationen: http://www.geraldszyszkowitz.at/sommerspiele/
Eine mutige Expedition durch „Das weite Land“ der Seele
Die Rückkehr von Schnitzlers tragischer Komödie
an den Originalschauplatz
„Das weite Land“ ist nur einer von Arthur Schnitzlers Versuchen, den seltsamen Auffassungen von Moral und Ehre seiner Zeit, also des Fin de Siècle, bis in die ungeheuerlichsten Abgründe der Seele nachzuspüren. 1911, als diese Tragikomödie, wie er selbst das Stück bezeichnet hat, im Burgtheater uraufgeführt wurde, hatte Schnitzler (1862-1931) bereits die Erfahrung eines reifen Mannes, dem nichts Menschliches mehr fremd zu sein schien. Er war offenbar selbst am meisten darüber erstaunt, wie viel unlösbare Verwirrungen der einfache Versuch des Zusammenlebens bzw. des Zusammentreffens von Mann und Frau anrichten konnte. Immer wieder geht es um Liebe und Betrug, um Freundschaft
und Hass, um Leben und Tod und um das unbeholfene Tänzeln zwischen den jeweiligen Antipoden. In diesem Fall ist es nichts anderes, aber doch ein vollkommen neuer Ansatz, mit der oberflächlichen Leichtigkeit abzurechnen, besser gesagt, auf das dünne Eis, auf dem sich die Gesellschaft bewegte, hinzuweisen.
Der Wiener Glühbirnenfabrikant Friedrich Hofreiter ist ein Sir, ein Herr der feinen Gesellschaft, der einem Verhältnis außerhalb der Ehe nicht abgeneigt ist. Seine schöne Frau Genia ist Muse und Objekt der Verehrung für sensible junge Männer, von denen einer an ihrer ehelichen Treue zerschellt, der andere, der ambitionierte Fähnrich Otto, einem völlig unnötigen Duell mit dem gehörnten Ehemann zum Opfer fällt. Jeder hätte bestens weiterleben können. Hofreiter ist sogar erleichtert, dass er nicht der einzige Sünder in seinem Hause ist. Die blöde Ehre will aber eine Entscheidung, die der biedere Paul Kreindl in seiner Naivität am Tennisplatz herbeiführen will, die aber nach Ansicht Hofreiters nur mit Pistolen wieder getroffen werden kann.
Es gibt keine Duelle mehr und Ehebruch führt gottlob in den meisten Fällen zu einer zivilen Scheidung und einem neuen Partner. Trotzdem fasziniert dieses Stück, weil es von einer anderen, einer elegant abgehobenen Ebene herab ewige Wahrheiten auch für unseren Umgang mit Gefühlen und Einstellungen zum Leben verkündet. Dass „Das weite Land“ ausgerechnet bei den Sommerspielen Schloss Hunyadi auf dem Programm steht, hat, so Intendant Gerald Szyszkowitz,
einen weiteren, ausgesprochen reizvollen Hintergrund.
Der Originalschauplatz des Stücks befindet sich in einer Villa im Süden von Wien, genauer gesagt in der Hinterbrühl. Schloss Hunyadi liegt in Maria Enzersdorf und damit nicht weit davon entfernt. Der malerische Innenhof dieses
Schlösschens atmet bis heute die Atmosphäre einer Gesellschaft, die sich damals wie heute aus den lauten Häuserschluchten der Großstadt ins Grüne zurückgezogen hat.
Szyszkowitz hat selbst Regie geführt und die Fassade von Schloss Hunyadi ein zu eins als Kulisse übernommen. Johannes Terne gibt den Friedrich Hofreiter mit der Nonchalance des abgebrühten Seitenspringers, der jedes Problem mit einem überlegenen Lächeln und dem passenden Bonmot aus der Welt zu schaffen gedenkt. Seine Ehefrau Genia ist Michaela Ehrenstein, die mit spürbar mütterlichen Gefühlen ihrem jungendlichen Liebhaber (Sebastian Blechinger als
schneidiger Fähnrich Otto) gegenübersteht.
Die Figur, die Ruhe in den Aufruhr zu bringen versucht, ist der Arzt Doktor Franz Mauer. Alfons Noventa verordnet ihm die wohltuende Ausstrahlung eines Sedativs, dessen Bemühungen aber unbelohnt bleiben. Erna (Johanna Machart) verliebt sich laut eigener Aussage in den weit älteren Hofreiter unsterblich, wird von diesem aber wie alle anderen Frauen in seinem Leben eher als mühsame Last überhöhten Charmes nach ein paar Liebesschwüren abgelegt. Frau Wahl (Anita
Kolbert), Bankier Natter (Felix Kurmayer) und Gemahlin Adele (Christina Jägersberger) sind feinzüngige Kommentatoren, während Christine Renhardt als liebenswürdige Mutter von Otto und Pierre Gold als in jeder Beziehung unbefangener Paul Kreindl so weit es geht Normalität ins Geschehen bringen. Erfrischend ist der Ausflug nach Südtirol ins Hotel am Völser Weiher, wo man auf Wilhelm Seledec in der Rolle des Hoteldirektors Doktor von Aigner und dem Portier Rosenstock (René Magul) trifft, die einen guten Schuss Gemütlichkeit in dieses in seiner Tiefe doch ungewöhnliche Sommertheater
bringen.
Hannes Gans
NÖN 26/2016
NÖN, 26/2016
ZUR ZEIT
Freie Bühne Wieden: Zeitlose Charakterstudie in edlem Gewand
28. September 2016 nach Anja Schmidt
Die Freie Bühne Wieden feiert heuer im Dezember ihr 40-jähriges Bestehen, und zum Saisonauftakt setzte Direktorin Michaela Ehrenstein einen Klassiker der österreichischen Literatur des Fin de Siècle auf den Spielplan: die Tragikomödie „Das weite Land“ von Arthur Schnitzler, die in der Inszenierung von Gerald Szyszkowitz bereits im Juni – im Rahmen der Sommer Spiele Schloss Hunyadi in Maria Enzersdorf – zu sehen war.
Uraufgeführt am Wiener Burgtheater im Jahre 1911, zeigt das Stück eine Vielfalt an zeitlos gültigen Befindlichkeiten der menschlichen Seele und ihren Untiefen auf, wenngleich auch Duelle heutzutage nicht mehr an der Tagesordnung stehen und sich das gängige Rechtsbewusstsein zu Ehebruch und Satisfaktion grundlegend gewandelt hat.
Szyszkowitz hat mit seinem glänzenden Ensemble die vielen Facetten der unterschiedlichen Charaktere detailliert herausgearbeitet und lässt der Wirkung von Schnitzlers Sprache breiten Raum. Die minimalistisch eingerichtete Bühne – einige Korbsessel und eine Bücherablage reichen zur Andeutung des Gartens der Villa Hofreiter in Baden bei Wien, Tische und Sessel stellen die Halle des Hotels am Völser Weiher in Südtirol dar – ist der Schauplatz mannigfaltiger Begegnungen.
Charakterfestigkeit versus Gefühlskälte
Viel Unausgesprochenes steht zwischen dem Ehepaar Hofreiter, das hervorragend von Michaela Ehrenstein und Johannes Terne verkörpert wird. Ehrensteins Genia ist eine charakterfeste, feinfühlige
Fabrikantengattin, die die Eskapaden ihres Mannes mit Fassung erträgt. Terne mimt den gefühlskalten Geschäftsmann und verleiht ihm sehr überzeugend geradezu bösartige Züge.
Alfons Noventa liefert eine eindrucksvolle Darstellung des Arztes Doktor Mauer ab, der Hofreiter kameradschaftlich verbunden ist. Die Loyalität des Mediziners endet jedoch abrupt, als Hofreiter seinen jungen Nebenbuhler zum Duell herausfordert.
Christine Renhardt agiert als emanzipierte Anna Meinhold-Aigner, geschiedene Gattin des Hoteldirektors, sehr wahrhaftig. Beeindruckend: Sebastian Blechinger als ihr Sohn Otto, der die Gefühle zu Genia mit seinem Leben bezahlen muss, sowie Wilhelm Seledec als Doktor von Aigner, der späte Reue verspürt, den Kontakt zu seinem Nachwuchs verloren zu haben.
Berührende Inszenierung mit vielen Zwischentönen
Ein sehr gegensätzliches Paar verkörpern Christina Jägersberger und Felix Kurmayer als Bankier Natter und dessen Frau Adele: Kurmayer glänzt als undurchschaubar-listiger Finanzmagnat, Jägersberger fasziniert als eine Ex-Geliebte Hofreiters, die das schlechte Gewissen drückt, als sie vom einnehmenden Wesen Genias gleichsam überrascht wird.
Anita Kolbert mimt eine umsichtig-rührige Frau Wahl, die ihre liebe Not mit der Tochter im heiratsfähigen Alter hat. Johanna Machart ist eine sehr kokette, die frühe Ehe scheuende Erna Wahl, die schon von Kindesbeinen an den Fabrikanten Hofreiter verehrt, dessen Tennispartnerin sie ist. Für heitere Momente sorgt Pierre Gold als fröhlich polternder Paul Kreindl, der die Tennisgesellschaft immer wieder zu neuen Partien motiviert. René Magul wiederum ist ein sehr in sich gekehrter Hotelportier Rosenstock.
Sehr elegant und opulent wurde das Ensemble mit Kostümen von Barbara Langbein ausgestattet – vom
Festtagsdirndl der Frau Wahl bis zu Hofreiters Gebirgsoutfit.
Alles in allem eine sehr berührende Inszenierung (Béla Fischer steuerte die passende Musik bei) mit vielen Zwischentönen, die – nicht nur Schnitzler-Fans – sehr zu empfehlen ist. Spannende Lektüre hält zudem das aufwendig gestaltete Programmheft bereit, in dem Regisseur Szyszkowitz aufschlussreiche Erläuterungen zum Stück und zu den realen Vorbildern einzelner Charaktere liefert.